Pierre Gallissaires (Übersetzung) • Hanna Mittelstädt (Übersetzung) • Situationistische Internationale

Zwei lokale Kriege

Der Krieg zwischen Israel und den arabischen Ländern ist ein übler Streich, den die moderne Geschichte dem guten linken Gewissen gespielt hat, das im großen Spektakel seines Protests gegen den Krieg in Vietnam einmütig war. Das falsche Bewusstsein, das die FNL-Leute für die Vorkämpfer der „sozialistischen Revolution“ gegen den amerikanischen Imperialismus hielt, konnte sich nur in seine unüberwindbaren Widersprüche verwickeln und scheitern, wenn es darauf ankam, zwischen Israel und Nasser zu wählen. Durch seine possenhafte Polemik hat es jedoch ständig verkündet, dass der eine oder der andere absolut recht habe und sogar dass diese oder jene ihrer Perspektiven revolutionär sei.

Indem der revolutionäre Kampf in die unterentwickelten Zonen immigrierte, wurde er einer doppelten Entfremdung unterworfen — einerseits der einer gegenüber dem überentwickelten Kapitalismus ohnmächtigen Linken, die diesen auf keine Weise bekämpfen kann, und andererseits der der arbeitenden Massen der kolonisierten Länder, die die Überbleibsel einer entstellten Revolution geerbt haben und deren Fehler erleiden mussten. Die Abwesenheit einer revolutionären Bewegung in Europa hat die Linke auf die einfachste Form reduziert: eine Zuschauermasse, die jedesmal in Entzückung gerät, wenn die Ausgebeuteten in den Kolonien nach den Waffen gegen ihre Herren greifen, und die nicht umhin können, darin das non plus ultra der Revolution zu sehen. Gleichfalls hat die Abwesenheit des politischen Lebens des Proletariats als Klassen für sich (und für uns ist das Proletariat revolutionär oder es ist nichts) es dieser Linken ermöglicht, in einer Welt ohne Tugend zum Ritter der Tugend zu werden. Wenn sie aber darüber klagt und jammert, dass ‘die Weltordnung’ ihren guten Absichten wiederstreitet, und wenn sie ihr armseliges Streben gegenüber dieser Ordnung aufrechterhält, ist sie praktisch doch mit ihr als ihrem eigenen Wesen verbunden — wird sie ihrer beraubt bzw. schließt sie sich selbst aus ihr aus, so verliert sie alles.

Die europäische Linke ist so arm, dass sie sich scheinbar nach dem bloßen dürftigen Gefühl einer abstrakten Entgegnung wie nach einem Trost sehnt, wie der durch die Wüste Reisende nach einem bloßen Wassertropfen. Der Umfang ihrer Not kann durch die Leichtigkeit ermessen werden, mit der sie sich zufrieden gibt. Sie ist der Geschichte fremd, genau so wie das Proletariat dieser Welt fremd ist; das falsche Bewusstsein ist ihr natürlicher Zustand, das Spektakel ihr Element und der scheinbare Zusammenstoß der Systeme ihr universeller Bezug: immer wenn und über all dort, wo es einen Konflikt gibt, kämpft das Gute gegen das Böse, die „absolute Revolution“ gegen die „absolute Reaktion“.

Die Zustimmung des zuschauenden Gewissens zu fremden Dingen bleibt irrational und sein tugendhafter Protest versumpft in den Windungen des Schuldgefühls. Die meisten französischen „Vietnam-Komitees“ sind während des „6 Tage Krieges“ auseinandergefallen, während ein Teil der Widerstandsgruppen gegen den Vietnamkrieg in den Vereinigten Staaten gleichfalls ihre Wahrheit erfahren haben. „Man kann nicht zu gleicher Zeit für die Vietnamesen und gegen die von Ausrottung bedrohten Juden sein!“, rufen die einen — „Wie könnt ihr gegen die Amerikaner in Vietnam kämpfen, wenn ihr deren angreifende zionistische Verbündeten unterstützt?“ erwidern die anderen und man stürzt sich in byzantinische Diskussionen … Selbst Sartre hat das nicht überlebt. In Wirklichkeit bekämpfen alle diese guten Leute das nicht, was sie verurteilen, und kennen das nicht, was sie billigen. Ihre Opposition gegen den amerikanischen Krieg verschmilzt fast immer mit einer bedingungslosen Unterstützung des Vietkong — auf jeden Fall bleibt sie aber für alle spektakulärer Art. Diejenigen, die sich wirklich dem spanischen Faschismus wiedersetzten, gingen an Ort und Stelle, um ihn zu bekämpfen. Keiner machte sich aber bisher auf, um den „Yankee-Imperialismus“ zu bekämpfen. Eine ganze Auslage fliegender Teppiche bietet sich den Konsumenten der illusorischen Beteiligung an — der stalinistisch-gaullistische Nationalismus gegen den amerikanischen (Humphreys Besuch in Frankreich war die einzige Gelegenheit für die KPF, mit den ihr übriggebliebenen Treuen zu demonstrieren); der Verkauf des „Kuriers aus Vietnam“ oder der Werbebroschüren für den Ho Chi Minh-Staat und zuletzt die pazifistische Demonstration. Weder die Provos (vor ihrer Auflösung), noch die Berliner Studenten konnten über diesen engen Rahmen der anti-imperialistischen „Aktion“ hinausgehen.

Der Widerstand gegen den Krieg in Amerika ist auf Anhieb ernsthafter, da der wirkliche Feind ihm gegenübersteht. Für einen Teil der Jugend bedeutet er jedoch, dass sie sich mechanisch mit den scheinbaren Feinden ihrer wirklichen Feinde identifizieren — was die Konfusion in einer Arbeiterklasse noch verstärkt, die schon der schlimmsten Verdummung und Mystifizierung unterworfen wird, und dazu beiträgt, sie in diesem „reaktionären“ Geisteszustand zu erhalten, der als Argument gegen sie benutzt wird.

Wichtiger scheint uns Guevaras Kritik zu sein, da sie ihre Wurzeln in echten Kämpfen hat, aber sie bleibt mangelhaft. Gewiss ist Che einer der letzten konsequenten Leninisten unserer Zeit, anscheinend hat er aber, wie Epimenides, während des letzten halben Jahrhunderts geschlafen, wenn er glaubt, es gebe immer noch ein „fortschrittliches Lager“, das seltsam „schwach“ sei. Dieser bürokratisch-romantische Revolutionär sieht also im Imperialismus nichts anderes als die höchste Entwicklungsstufe des Kapitalismus in seinem Kampf gegen eine Gesellschaft, die trotz ihrer Mängel sozialistisch ist.

Die mit Schimpf und Schande zugegebene Schwäche der UdSSR erscheint immer mehr als „normal“. Laut einer öffentlichen Erklärung bleibt China „zu jedem nationalen Opfer bereit, um Nord-Vietnam (wenn auch schon nicht die Arbeiter von Hongkong) gegen die USA zu unterstützen, und sie bildet die festeste und sicherste Nachhut für das vietnamesische Volk in seinem Kampf gegen den Imperialismus.“ Tatsächlich zweifelt keiner daran, dass Maos bürokratische China noch völlig heil ist, wenn der letzte Vietnamese gefallen ist (Nach der lzwestia sollen China und die Vereinigten Staaten ein Abkommen zur gegenseitigen Nichteinmischung geschlossen haben).

Weder das manichäische Gewissen der tugendhaften Linken noch die Bürokratie sind fähig, die tiefe Einheit der heutigen Welt zu verstehen. Die Dialektik ist ihr gemeinsamer Feind. Was die revolutionäre Kritik betrifft, so setzt sie jenseits von Gut und Böse an — sie hat ihre Wurzeln in der Geschichte, und ihr Feld ist die Totalität der bestehenden Welt. Auf keinen Fall kann sie einem kriegsführenden Staat zustimmen oder die Bürokratie eines im Entstehen begriffenen ausbeutenden Staates unterstützen. Vor allem muss sie die Wahrheit der aktuellen Konflikte enthüllen, indem sie sie mit ihrer Geschichte verknüpft, und die uneingestandenen Ziele der offiziell kämpfenden Kräfte entlarven. Die Waffe der Kritik wird als Einleitung für die Kritik der Waffen gebraucht.

Der friedlichen Koexistenz der bürgerlichen und bürokratischen Lüge ist es schließlich gelungen, die Oberhand über die Lüge ihrer Zusammenstöße zu gewinnen; das Gleichgewicht des Schreckens ist 1962 in Kuba während der russischen Auflösung gebrochen worden. Seither herrscht der amerikanische Imperialismus unbestritten über die Welt. Das kann er nur durch Agression, da er die Enterbten niemals irgendwie verlocken wird, die sich eher dem russisch-chinesischen Muster zuwenden. Der Staatskapitalismus stellt die natürliche Tendenz der kolonisierten Gesellschaften dar, in denen sich der Staat im allgemeinen vor den Klassen bildet — im historischen Sinne des Wortes. Die totale Beseitigung ihrer Kapitalien und Waren vom Weltmarkt ist gerade die Lebensgefahr, die die besitzende Klasse in Amerika und ihre Wirtschaft des freien Unternehmertums bedroht, sowie der Schlüssel für ihre Angriffswut.

Seit der großen Krise im Jahre 1929 wird die Intervention des Staates in die Marktmechanismen immer sichtbarer; die Wirtschaft kann ohne die massiven Ausgaben des Staates, des Haupt„konsumenten“ der ganzen nicht kommerziellen Produktion (hauptsächlich durch die Rüstungsindustrie) nicht mehr regelmäßig funktionieren. Was ihn nicht daran hindert, weiter im Kriegszustand zu bleiben und die Ausdehnung seines öffentlichen auf Kosten seines privaten Sektors nötig zu haben. Durch eine unerbittliche Logik wird das System zu einem immer mehr staatlich kontrollierten Kapitalismus getrieben, der ernste soziale Konflikte entstehen lässt.

Die Unfähigkeit des amerikanischen Systems, auf sozialer Ebene genügend Profit zu erzeugen, macht seine tiefe Krise aus. Es muss also außen das schaffen, was es zuhause nicht zustande bringen kann — und zwar die Profitmasse im Verhältnis zu der des vorhandenen Kapitals vergrößern. Die besitzende Klasse, die auch den Staat mehr oder weniger besitzt, verlässt sich auf seine imperialistischen Eingriffe, um diesen wahnsinnigen Traum zu verwirklichen. Für diese Klasse bedeutet der Staatskapitalismus genau wie der Kommunismus den Tod; deshalb ist sie von Natur aus unfähig, irgendeinen Unterschied zwischen beiden zu sehen.

Das künstliche Funktionieren der monopolistischen Wirtschaft als „Kriegswirtschaft“ sorgt vorläufig dafür, dass die Politik der führenden Klasse die wohlwollende Unterstützung der Arbeiter genießen kann, denen die Vollbeschäftigung und ein spektakulärer Überfluss zugutekommen: „Zur Zeit ist der Prozentsatz der mit Aufgaben für die Verteidigung beschäftigten Arbeitskraft 5,2% der gesamten amerikanischen Arbeitskraft gegenüber 3,9% vor zwei Jahren … Die Zahl der zivilen Beschäftigungen auf dem Gebiet der Verteidigung ist in 2 Jahren von 3.000.000 auf ungefähr 4.100.000 gestiegen.“ (Le Monde vom 17.9.67). Inzwischen wird der Marktkapitalismus undeutlich gewahr, dass er durch die Erweiterung des von ihm kontrollierten Gebiets zu einem beschleunigten Aufschwung gelangen kann, der fähig ist, den immer größer werdenden Forderungen der nicht profitablen Produktion das Gegengewicht zu geben. Die hartnäckige Verteidigung der Regionen der „freien“ Welt, in denen seine Interessen oft unbeträchtlich sind (1959 gingen die amerikanischen Investitionen in Südvietnam nicht über 50 Mio. Dollar hinaus) entspricht einer Strategie, die langfristig bezweckt, die Militärausgaben in einfache Ausbeutungskosten zu verwandeln, was den Vereinigten Staaten nicht nur einen Markt, sondern auch die monopolistische Kontrolle über die Produktionsmittel des größten Teils der Welt sichern würde. Aber diesem Projekt steht alles im Wege. Einerseits die inneren Widersprüche des Privatkapitalismus: besondere Interessen widerstreiten diesem allgemeinen Interesse der gesamten besitzenden Klasse — so z.B. die Gruppen, die sich kurzfristig mit Staatsaufträgen bereichern (mit den Waffenfabrikanten an ihrer Spitze) und die monopolistischen Unternehmen, die nicht in unterentwickelten Ländern investieren wollen, in denen die Produktivität trotz der billigen Arbeitskräfte sehr niedrig ist, und die es lieber im fortgeschritteneren Teil der Welt tun — vor allem in Europa, das immer noch rentabler als das gesättigte Amerika ist. Andererseits läuft dieses Projekt den unmittelbaren Interessen der enterbten Massen zuwider, deren erste Bewegung nur die Beseitigung ihrer eigenen ausbeutenden Schichten sein kann, die als einzige imstande sind, irgendeine US-Infiltration zu sichern.

Nach Rostow, dem „Wirtschaftsaufschwungsexperten“ im State Department, ist Vietnam vorläufig nur das Übungsfeld einer breiten Strategie — die sich in der Zukunft vervielfachen soll —, die mit einem zerstörerischen Krieg (der keine große Aussicht auf Erfolg hat) beginnen muss, um ihren Ausbeutungsfrieden zu sichern. Die Aggressivität des amerikanischen Imperialismus entsteht also nicht aus der Verirrung einer schlechten Regierung, sondern sie ist für die Klassenbeziehungen des Privatkapitalismus notwendig, der sich unaufhaltsam zu einem technokratischen Staatskapitalismus entwickeln wird, wenn keine revolutionäre Bewegung ihm ein Ende setzt. In diesen allgemeinen Rahmen der unbewältigt gebliebenen Weltwirtschaft muss die Geschichte der entfremdeten Kämpfe unserer Epoche eingefügt werden.

Die Zerstörung der alten „asiatischen“ Strukturen durch die koloniale Eindringung führte auf der einen Seite zur Entstehung einer neuen städtischen Schicht und zur verstärkten Verelendung breiter Schichten des überausgebauten Bauernstandes auf der anderen Seite. Das Zusammentreffen dieser beiden sozialen Kräfte war der Hauptantrieb der gesamten Bewegung in Vietnam. So bildeten sich die ersten nationalistischen Kerne, sowie der Rahmen dessen, was von 1930 an die indonesische KP werden sollte, unter den städtischen — klein-bürgerlichen und sogar bürgerlichen — Schichten. Der Anschluss an die bolschewistische Ideologie (in ihrer stalinistischen Version) fügte dem rein nationalistischen ein wesentlich landwirtschaftliches Programm hinzu und machte es der KP Indonesiens möglich, zum hauptsächlichen Führer des antikolonialen Kampfes zu werden und die breite Masse der spontan aufgestandenen Bauern zu organisieren. Diese Bewegung trat 1931 zum ersten Mal mit den „Bauernräten“ in Erscheinung. Indem sie aber ihr Schicksal mit dem der III. Internationale verknüpfte, fügte sich die KP Indonesiens in alle Wechselfälle der stalinistischen Diplomatie und die Schwankungen der nationalen und staatlichen Interessen der russischen Bürokratie. Vom VII. Komintern-Kongress im August 1935 an verschwand der „Kampf gegen den französischen Imperialismus“ aus dem Programm und wurde bald durch den gegen die mächtige trotzkistische Partei ersetzt. „Was die Trotzkisten betrifft, weder Bündnisse noch Zugeständnisse! Sie müssen als das entlarvt werden, was sie sind: Agenten des Faschismus“ (Ho Chi Minhs Bericht vor der Komintern, Juli 1939). Dank dem deutsch-sowjetischen Abkommen und dem Verbot der französischen und überseeischen KPs konnte die KPI ihre Richtung ändern: „Unsere Partei ist der Meinung, es sei eine Lebensfrage … gegen den imperialistischen Krieg und die Raub- und Mordpolitik des französischen Imperialismus (d.h.: gegen Nazi-Deutschland) zu kämpfen … gleichzeitig aber wollen wir auch gegen die aggressiven Ziele des japanischen Faschismus kämpfen“.

Gegen Ende des II. Weltkrieges kontrollierte der Vietminh mit effektiver Hilfe der Amerikaner den größten Teil des Landes und wurde als der einzige Vertreter Indochinas von den Franzosen anerkannt. In diesem Augenblick hielt es Ho Chi Minh für besser, „ein wenig den französischen Dreck zu beschnüffeln, als ein ganzes Leben lang den der Chinesen aufnehmen zu müssen“ und unterzeichnete, um seinen Genossen und Herren die Aufgabe zu erleichtern, den ungeheuerlichen Kompromiss vom März 1946, durch den Vietnam gleichzeitig als ein „freier Staat“ und als ein „Teil der Indonesischen Föderation der Französischen Union“ anerkannt wurde. Dank diesem Kompromiss konnte Frankreich einen Teil des Landes zurückerobern und zu gleicher Zeit, als die Stalinisten ihren Teil der bürgerlichen Macht in Frankreich einbüßen mussten, einen 8jährigen Krieg anfangen, an dessen Ende der Vietminh den Süden den rückständigsten Schichten der vietnamesischen Gesellschaft und ihren Schutzherren — den Amerikanern — preisgab, während er endgültig den Norden bekam: Nachdem die Vietminh-Bürokratie systematisch die übriggebliebenen revolutionären Elemente beseitigt hatte (der letzte trotzkistische Führer, Ta Tu Thau war schon 1946 ermordet worden), richtete sie ihre totalitäre Macht über den Bauernstand ein und nahm die Industrialisierung des Landes im Rahmen des Staatskapitalismus in Angriff. Die Verbesserung der Lage der Bauern, die aus ihren Errungenschaften im langen Befreiungskampf folgte, sollte gemäß der bürokratischen Logik in den Dienst des entstehenden Staates gestellt werden, im Sinne einer besseren Produktivität, die er als einziger, unbestrittener Herr verwalten wollte. 1956 zog die autoritär durchgeführte Agrarreform gewaltsame Aufstände und eine blutige Unterdrückung (besonders in Ho Chi Minhs Provinz selbst) nach sich. Die Bauern, die der Bürokratie zur Macht verholfen hatten, fielen ihr als erste zum Opfer. Man versuchte dann jahrelang, diesen „ernsten Irrtum“ vergessen zu lassen, indem man „in Selbstkritik schwelgte“.

Dasselbe Genfer Abkommen machte es aber Diem und Konsorten möglich, südlich des 17. Breitengrades einen bürokratischen, feudalistisch-theokratischen Staat im Dienst der Großgrundbesitzer und der raubgierigen Bourgeoisie einzuführen. In einigen Jahren liquidierte dieser Staat alle Errungenschaften des Bauernstandes durch einige dazu geeignete „Agrarreformen“, so dass die Bauern im Süden, von denen ein Teil niemals die Waffen gestreckt hatte, noch einmal der Unterdrückung und der Überausbeutung unterworfen wurden. Dann beginnt der zweite Vietnam Krieg. Hier finden die massenweise aufständischen Bauern, die noch einmal nach den Waffen gegen dieselben Feinde greifen, auch dieselben Führer wieder. Auf den Vietminh folgt die Nationale Befreiungsfront (FNL), die dessen gute Eigenschaften und schwerwiegenden Mängel übernommen hat. Indem sie sich zum Verfechter des nationalen Kampfes und des Bauernkrieges macht, hat die FNL von Anfang an das Land für sich gewonnen und aus ihm die Hauptbasis des bewaffneten Widerstands gemacht. Ihre aufeinander folgenden Siege über die offizielle Armee haben die immer massivere Intervention der Amerikaner zur Folge gehabt, bis der Konflikt auf einen offenen Kolonialkrieg reduziert wurde, in dem die Vietnamesen gegen eine in ihr Land einfallende Armee kämpfen. Die entschlossene Kampfführung, das deutlich anti-feudalistische Programm und die Perspektive auf die Vereinigung des Landes sind immer noch die Hauptqualitäten der Bewegung. Keineswegs aber unterscheidet sich der von der FNL geführte Kampf von den klassischen Kämpfen für die nationale Befreiung, und dem Programm liegt der Kompromiss einer breiten Klassenkoalition zugrunde, die von dem einzigen Ziel beherrscht wird, die amerikanische Aggression zu liquidieren (nicht von ungefähr lehnt es die FNL ab, Vietkong, d.h. „vietnamesische Kommunisten“ genannt zu werden, um ihren nationalen Charakter zu betonen). Ihre Strukturen sind die eines im Entstehen begriffenen Staates, da sie schon in den von ihr kontrollierten Zonen Steuern erhebt und die allgemeine Wehrpflicht einführt.

Diese minimalen Qualitäten des Kampfes sowie die Ziele und die durch sie zum Ausdruck kommenden sozialen Interessen sind im israelisch-arabischen Zusammenstoß überhaupt nicht zu finden. Die spezifischen Widersprüche des Zionismus und die der zersplitterten arabischen Gesellschaft kommen zu der allgemeinen Konfusion noch dazu.

Von Anfang an widersprach die zionistische Bewegung einer revolutionären Lösung dessen, was man die Judenfrage nannte. Als ein unmittelbares Produkt des europäischen Kapitalismus bezweckte sie nicht die Umwälzung einer Gesellschaft, die die Verfolgung der Juden nötig hatte, sondern die Bildung einer nationalen Entität, die vor dem antisemitischen Wahnsinn des dekadenten Kapitalismus geschützt sein würde — keine Abschaffung der Ungerechtigkeit also, sondern deren Verlagerung. Die Erbsünde des Zionismus besteht darin, immer so getan zu haben, als wäre Palästina eine menschenleere Insel. Die revolutionäre Arbeiterbewegung hielt die proletarische Gemeinschaft, d.h. die Zerstörung des Kapitalismus und „seiner Religion, des Judentums“, für die Lösung der Judenfrage, da die Emanzipation des Juden außerhalb der des Menschen undurchführbar ist. Der Zionismus ging von der umgekehrten Voraussetzung aus. Gewiss hat ihm die konterrevolutionäre Entwicklung im letzten halben Jahrhundert recht gegeben, aber auf dieselbe Art und Weise wie die Entwicklung des europäischen Kapitalismus gegenüber Bernsteins reformistischen Thesen. Der Erfolg des Zionismus und folglich die Bildung des israelischen Staates stellen nur Wechselfälle des Triumphs der Weltkonterrevolution dar. Dem „Sozialismus in einem einzigen Land“ konnten das „Recht für ein einziges Volk“ und die „Gleichheit in einem einzigen Kibbuz“ zurückschallen. Die Kolonisation Palästinas wurde mit Rothschilds Geldern organisiert und die ersten Kibbuzim durch europäischen Mehrwert initiiert. Damals haben die Juden für sich selbst alles das von neuem geschaffen, dem sie zum Opfer fielen: den Fanatismus und die Rassentrennung. Diejenigen, die darunter zu leiden hatten, in ihrer Gesellschaft bloß geduldet zu werden, kämpften darum, anderswo Besitzer zu werden, die über das Recht darauf verfügen, andere zu dulden. Der Kibbutz war keine revolutionäre Aufhebung des palästinensischen Feudalwesens, sondern eine mutualistische Formel der Selbstverteidigung der jüdischen Arbeiter-Siedler gegen die Tendenz zur kapitalistischen Ausbeutung der „jüdischen Agentur“. Da die zionistische Organisation der hauptsächliche jüdische Besitzer Palästinas war, stellte sie sich als die einzige Vertreterin der höchsten Interessen der „Jüdischen Nation“ hin. Sie hat schließlich nur deshalb das Recht auf eine bestimmte Selbstverwaltung eingeräumt, weil sie sich vergewissert hatte, dass diese sich auf die systematische Zurücktreibung der arabischen Bauern gründen würde.

Was die Histadrut betrifft, wurde sie seit ihrer Bildung im Jahr 1920 der Autorität des Weltzionismus unterworfen — d.h. genau dem Gegensatz zur Emanzipation der Arbeiter. Ihren Statuten gemäß waren die arabischen Arbeiter aus ihr ausgeschlossen, und ihre Tätigkeit bestand oft darin, den jüdischen Unternehmern zu verbieten, sie zu beschäftigen.

Der dreiseitige Kampf zwischen Arabern, Zionisten und Engländern sollte sich zum Vorteil der Zweiten entwickeln. Dank der aktiven Tätigkeit der Amerikaner (vom II. Weltkrieg an) und Stalins Segen (der Israel als die erste, im Nahen Osten heranwachsende „sozialistische“ Festung betrachtete und dadurch aber auch einige ihm lästige Juden loswerden wollte) wurde bald Herzls Traum konkret und willkürlich der jüdische Staat proklamiert. Durch die Rekuperierung aller „fortschrittlichen“ Formen der sozialistischen Organisation und deren Integration in das zionistische Ideal durften dann sogar die „Revolutionärsten“ mit ruhigem Gewissen am Aufbau des bürgerlichen, militaristischen und rabbinischen Staates arbeiten, zu dem das moderne Israel sich entwickelt hat. Der verlängerte Schlaf des proletarischen Internationalismus hat noch ein Ungeheuer erzeugt. Die grundsätzliche Ungerechtigkeit gegenüber den Arabern Palästinas wandte sich aber sofort gegen die Juden selbst: der Staat des auserwählten Volkes war nichts anderes als eine übliche Klassengesellschaft, in der alle Missstände der alten Gesellschaften wiederhergestellt worden waren (hierarchische Teilungen, ethnische Gegensätze zwischen Ashkenazen und Sepharditen, rassistische Verfolgungen der arabischen Minderheit usw.). Die Gewerkschaft hat ihre normale Funktion wiedergefunden: die Arbeiter in die kapitalistische Wirtschaft zu integrieren, zu deren Haupteigentümerin sie geworden ist. Sie beschäftigt mehr Lohnempfänger als der Staat selbst und bildet zur Zeit den Brückenkopf des imperialistischen Aufschwungs des jungen israelischen Kapitalismus (So hat z.B. „Solel Boneh“, eine wichtige Filiale im Bauwesen von Histadrut, 1960-1966 180 Mio. Dollar in Afrika und Asien investiert, und sie beschäftigt zur Zeit 12.000 afrikanische Arbeiter).

Da der Staat ohne das direkte Eingreifen des anglo-amerikanischen Imperialismus und die massive Hilfe des jüdischen Finanzkapitalismus niemals hätte entstehen können, kann er heute seine künstliche Ökonomie nur mit Hilfe derselben Kräfte ausgleichen, die ihn geschaffen haben (die Zahlungsbilanz weist ein Defizit von 600 Mio. Dollar auf, d.h. mehr als das Durchschnittseinkommen eines arabischen Arbeiters pro israelischem Einwohner). Schon mit der Niederlassung der ersten Immigrantensiedlungen bildeten die Juden parallel zur ökonomischen und gesellschaftlichen rückständigen arabischen Gesellschaft eine moderne Gesellschaft europäischen Typs; der Staat hat dann diesen Prozess durch die unbedingte Vertreibung der Elemente dieser Rückständigkeit nur vollendet. Israel ist von Natur aus das Bollwerk Europas mitten in einer afro-asiatischen Welt. So ist es doppelt fremd geworden: gegenüber der arabischen Bevölkerung, die auf den ständigen Zustand von Vertriebenen oder einer kolonisierten Minderheit reduziert wurde, und gegenüber der jüdischen Bevölkerung, die einen Augenblick in ihm die irdische Verwirklichung aller egalitären Ideologien gesehen hatte.

Dafür sind aber nicht nur die Widersprüche der israelischen Gesellschaft verantwortlich: von Anfang an hat sich diese Lage ständig verschlechtert, da sie durch die arabische Umgebung erhalten wurde, die bisher außerstande war, ihr den Anfang einer wirklichen Lösung zu geben.

Seit Beginn der englischen Mandatsherrschaft ist die arabische Widerstandsbewegung in Palästina völlig von der besitzenden Klasse beherrscht worden — d.h. von den damaligen arabischen herrschenden Klassen und deren britischen Schutzherren. Durch das Sykes-Picot-Abkommen wurde jeder Hoffnung auf den entstehenden arabischen Nationalismus ein Ende gesetzt und die mit Sachkenntnis zerstückelte Gegend einer fremden Herrschaft unterworfen, die weit davon entfernt ist, am Ende zu sein. Dieselben Schichten, die unter dem Türkischen Reich für die Knechtschaft der arabischen Massen gesorgt hatten, gingen in den Dienst der britischen Besatzung über und nahmen an der zionistischen Kolonisierung teil (indem sie ihre Landgüter zu sehr hohen Preisen verkauften). Die Rückständigkeit der arabischen Gesellschaft machte das Hervortreten neuer, fortgeschrittener Führer noch nicht möglich und die spontanen Volksaufstände fanden jedesmal dieselben Rekuperatoren wieder — die „feudalistisch-bürgerlichen“ Honoratioren und deren Ware: die nationale Einheit.

Der bewaffnete Aufstand von 1936-1939 und der sechsmonatige Generalstreik (der längste in der Geschichte) wurden trotz der Opposition aller Führungen der „nationalistischen“ Parteien beschlossen und durchgeführt. Spontan organisiert entwickelten sie sich zu einer sehr breiten Bewegung, was die herrschende Klasse dazu zwang, sich an sie anzuschließen und ihre Leitung zu übernehmen, zu dem Zweck aber, sie zu bremsen und bis zum Verhandlungstisch und den reaktionären Kompromissen zu führen. Allein der Sieg dieses Aufstandes in seinen letzten Konsequenzen hätte die britische Mandatsherrschaft und das zionistische Projekt, einen jüdischen Staat zu errichten, liquidieren können. Dagegen kündigte sein Scheitern die künftigen Katastrophen und schließlich die Niederlage von 1948 an.

Diese läutete die Totenglocke für die „feudale Bourgeoisie“ als führende Klasse der arabischen Bewegung. Sie bot dem Kleinbürgertum die Gelegenheit, zur Macht zu gelangen und zusammen mit den Kadern der besiegten Armee die Triebkraft der heutigen Bewegung zu bilden. Ihr Programm war einfach — die Einheit, eine bestimmte sozialistische Ideologie und die Befreiung Palästinas (die „Rückkehr“). 1956 gab ihr die dreiteilige Aggression beste Gelegenheit, sich als herrschende Klasse zu festigen und gleichzeitig einen Führer und ein Programm in Nasser zu entdecken, der den vollkommen enteigneten arabischen Massen zur kollektiven Bewunderung aufgestellt wurde. Er wurde zu ihrer Religion und ihrem Opium. Aber die neue ausbeutende Klasse hatte ihre eigenen Interessen und selbständigen Ziele. Die Parolen, die das bürokratisch-militärische ägyptische Regime populär gemacht haben, waren an sich schlecht, und es war nicht imstande, sie durchzusetzen. Die arabische Einheit und Israels Zerstörung (einmal als die Liquidierung des unrechtmäßigen Staat und einmal als unbedingtes Hinauswerfen seiner Bevölkerung ins Meer bezeichnet) standen im Mittelpunkt dieser Propaganda-Ideologie.

Der Verfall des arabischen Kleinbürgertums und seiner bürokratischen Macht wurde in erster Linie durch seine eigenen inneren Widersprüche und die Oberflächlichkeit seiner politischen Entscheidungen eingeleitet (Nasser, die Baath-Partei, Kassem und die sogenannten KPs haben unaufhörlich mit Kompromissen und Bündnissen mit den fragwürdigsten Kräften gegeneinander gekämpft). Zwanzig Jahre nach dem ersten Palästina-Krieg hat diese neue Schicht bewiesen, dass sie vollkommen unfähig ist, das palästinensische Problem zu lösen. Sie hat von einer wahnsinnigen Überbietung gelebt, da sie wegen ihrer Unfähigkeit, die unzähligen inneren Probleme irgendwie radikal zu lösen nur durch die ständige Aufrechterhaltung des israelischen Vorwands überleben konnte. So bleibt das Palästina-Problem der Schlüssel zu den arabischen Erschütterungen: nach diesem Problem richten sich die Konflikte, in ihm sind alle eins. Es liegt der objektiven Solidarität aller arabischen Regimes zugrunde und realisiert die „heilige Allianz“ zwischen Nasser und Hussein, Feisal und Boumedienne, der Baath-Partei und Aref.

Der letzte Krieg hat alle Illusionen zerstört. Die absolute Starrheit der „arabischen Ideologie“ ist bei Zusammenstoß mit der genauso starren, aber permanenten effektiven Wirklichkeit zerstäubt worden. Diejenigen, die davon sprachen, Krieg zu führen, wollten und bereiteten ihn nicht vor und diejenigen, die nur von Selbstverteidigung sprachen, rüsteten sich effektiv zur Offensive. Jedes Lager ging seinem eigenen Hang nach: die arabische Bürokratie dem der Lüge und der Demagogie und die israelischen Führer dem der imperialistischen Expansion. Als negatives Element war der 6-Tage-Krieg äußerst wichtig, da er alle Schwächen und geheimen Fehler dessen enthüllt hat, was man als „die arabische Revolution“ darstellen wollte. Die „machtvolle“ militärische Bürokratie Ägyptens bröckelte innerhalb von zwei Tagen ab, wobei sie auf einen Schlag die ganze Wahrheit ihrer Verwirklichungen aufdeckte: der Angelpunkt, um den herum alle sozio-ökonomischen Veränderungen durchgeführt wurden, die Armee, blieb grundsätzlich derselbe. Einerseits gab sie vor, in Ägypten — und sogar in der ganzen arabischen Zone — alles verändern zu wollen, andererseits tat sie ihr möglichstes, damit in ihren Reihen, ihren Werten und Gewohnheiten nichts verändert wird. Nassers Ägypten wird immer noch von den vornasserischen Kräften beherrscht, seine „Bürokratie“ ist eine Masse ohne Zusammenhang und Klassenbewusstsein, die nur durch Ausbeutung und Aufteilung des sozialen Mehrwerts vereint wird.

Was den das Baath-Syrien regierenden, politisch-militärischen Apparat betrifft, schließt er sich in seiner extremistischen Ideologie immer mehr ab. Allerdings täuscht seine Phraseologie keinen mehr (außer Pablo!): jeder weiß, dass er nicht gekämpft und die ganze Front ohne Widerstand übergeben hat, da er die besten Truppen lieber für seinen eigenen Schutz in Damaskus behalten hat. Diejenigen, die 65% des gesamten syrischen Staatshaushaltes verbrauchten, um das Land zu verteidigen, haben ihre zynische Lüge endgültig entlarvt.

Schließlich hat der Krieg denen, die es immer noch nötig hatten, ein letztes Mal gezeigt, dass die Heilige Allianz mit Herren wie Hussein nur zur Katastrophe führen konnte. Schon am ersten Tag zog sich die arabische Legion zurück und die palästinensische Bevölkerung, die zwanzig Jahre lang den Polizeiterror ihrer Henker über sich ergehen lassen musste, blieb gegenüber den Besatzungskräften ohne Bewaffnung und Organisation. Seit 1948 hatte die Hashemiten-Krone zusammen mit dem zionistischen Staat die Kolonisation der Palästinenser vorangetrieben. Beim Verlassen von Zisjordanien gab sie diesem die polizeilichen Personalakten über alle revolutionären palästinensischen Elemente preis. Den Palästinensern aber, die von jeher gewusst haben, dass es keinen so großen Unterschied zwischen den beiden Kolonisationen gab, behagt jetzt der Widerstand gegen die neue Besatzungsmacht mehr.

Auf der anderen Seite ist Israel all das geworden, was die Araber ihm vor dem Krieg zu sein vorgeworfen hatten — ein imperialistischer Staat, der sich wie die klassischsten Besatzungskräfte benimmt (Polizeiterror, Sprengung von Häusern mit Dynamit, permanentes Standrecht usw.) Im Inneren entwickelt sich ein von den Rabbinern geführter kollektiver Wahnsinn für „Israels Grundrecht auf die biblischen Grenzen“. Der Krieg hat die ganze Bewegung der Kritik zum Stillstand gebracht, die durch die Widersprüche dieser künstlichen Gesellschaft hervorgerufen worden war (1966 gab es zig Aufstände und nicht weniger als 277 Streiks allein im Jahre 1965), und die einstimmige Zustimmung zu den Zielen der herrschenden Klasse und deren extremistischer Ideologie bewirkt. Außerdem diente der Krieg dazu, die nicht in den bewaffneten Zusammenstoß verwickelten arabischen Regimes zu stärken. So konnte Boumedienne in 5.000 km Entfernung ruhig an der Überbietung teilnehmen, sich von der algerischen Bevölkerung bejubeln lassen, vor der er am Vorabend nicht einmal aufzutreten wagte, und zuletzt die Unterstützung der vollständig stalinisierten ORP erhalten („für seine anti-imperialistische Politik“). Für einige Millionen Dollar erhält Feisal seinerseits die Abtretung des republikanischen Jemen und die Festigung seiner Herrschaft — und vieles bleibt hier noch unerwähnt.

Wie immer kann der Krieg — wenn es kein Bürgerkrieg ist — den Prozess der sozialen Revolution nur einfrieren. In Nordvietnam bewirkt er, dass die Bauernmassen der sie ausbeutenden Bürokratie zustimmen — was diese bisher nie erreicht hatte. In Israel liquidiert er für lange Zeit jede Opposition gegen den Zionismus, während in den arabischen Ländern — momentan — die reaktionärsten Schichten verstärkt werden. Keineswegs können sich die revolutionären Strömungen darin erkennen. Ihre Aufgabe liegt am anderen Ende der gegenwärtigen Bewegung, deren absolute Negation sie sein müssen.

Offensichtlich ist es unmöglich, heute eine revolutionäre Lösung zum Vietnamkrieg zu suchen. Es kommt vor allem darauf an, der amerikanischen Aggression ein Ende zu setzen, damit der wirkliche soziale Kampf in Vietnam sich dann auf natürliche Weise entwickelt — d.h. also, es für die vietnamesischen Arbeiter möglich zu machen, ihre inneren Feinde wiederzufinden: die Bürokratie im Norden und alle besitzenden und herrschenden Schichten im Süden. Der Rückzug der Amerikaner bedeutet die unmittelbare Übernahme des ganzen Landes durch die stalinistische Führung — das ist eine unvermeidliche Lösung. Denn die Eindringlinge können ihre Aggression nicht endlos fortsetzen — seit Talleyrand weiß man, dass man mit Bajonetten alles machen kann, außer sich darauf zu setzen. Es kommt also nicht darauf an, den Vietkong bedingungslos (oder auch kritisch) zu unterstützen, sondern konsequent und kompromisslos gegen den amerikanischen Imperialismus zu kämpfen. Heute spielen die amerikanischen Revolutionäre dabei die wirksamste Rolle, die die Kriegsdienstverweigerung in sehr breitem Maße (gegenüber dem der französische Widerstand gegen den algerischen Krieg ein Kinderspiel ist) befürworten und praktizieren. Die Wurzel des Vietnamkrieges befindet sich in Amerika selbst — dort muss sie ausgerottet werden.

Im Gegensatz zum amerikanischen Krieg hat die palästinensische Frage keine unmittelbar sichtbare Lösung. Keine kurzfristige kann durchgeführt werden. Unter der Last ihrer Widersprüche können die arabischen Regimes bloß zusammenbrechen, während Israel immer mehr von der Logik seiner kolonialen Politik gefangengenommen wird. Alle Kompromisse, die die Großmächte und deren respektive Verbündete zusammenzuflicken versuchen, können auf jeden Fall nur konterrevolutionär sein. Der zwitterhafte Status quo — weder Frieden noch Krieg — wird vermutlich für lange Zeit gelten, in der die arabischen Regimes dasselbe Schicksal wie ihre Vorgänger 1948 erfahren werden (wahrscheinlich anfangs zugunsten der offen reaktionären Kräfte). Die arabische Gesellschaft, die schon alle möglichen herrschenden Klassen als Karikaturen aller historisch bekannten Klassen erzeugt hat, muss jetzt die Kräfte erzeugen, die ihre totale Subversion mit sich bringen werden. Die sogenannte nationale Bourgeoisie und die arabische Bürokratie haben alle Mängel dieser beiden Klassen geerbt, ohne je ihre historischen Realisationen in den anderen Gesellschaften gekannt zu haben. Die künftigen arabischen revolutionären Kräfte, die aus den Trümmern der Niederlage vom Juni 1967 hervorgehen müssen, werden wissen, dass sie mit keinem der bestehenden arabischen Regimes etwas gemeinsam und bei den etablierten Gewalten, die die heutige Welt beherrschen, nichts zu respektieren haben. Nur in sich selbst und in den verdrängten Erfahrungen der revolutionären Geschichte werden sie ein Vorbild finden. Die palästinensische Frage ist zu schwerwiegend, als dass sie den Staaten, d.h. den Obersten überlassen werden kann. Sie ist zu eng mit den beiden grundsätzlichen Fragen der modernen Revolution — dem Internationalismus und dem Staat — verbunden, als dass irgendeine heute bestehende Kraft sie angemessen lösen kann. Allein eine entschlossen internationalistische und anti-staatliche, revolutionäre arabische Bewegung kann gleichzeitig den israelischen Staat auflösen und die von ihm ausgebeuteten Massen für sich gewinnen. Nur durch denselben Prozess kann sie alle bestehenden arabischen Staaten auflösen und die arabische Einigung durch die Macht der Räte errichten.