Stephan Grigat

Short Cuts

Michael Steffen: Geschichten vom Trüffelschwein

Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971 bis 1991. Assoziation A, Berlin — Hamburg — Göttingen 2002, 416 Seiten, EUR 24,—

Der Kommunistische Bund (nicht zu verwechseln mit dem österreichischen KB, dem in der BRD der Kom­munistische Bund Westdeutschland entsprach) war eine der einflußreichsten Organisationen der Neuen Linken in der Bundesrepublik. Er verfügte zeitweise über rund 2.500 Aktive und sein vierzehntägig erscheinendes Zentralorgan, der „Arbeiterkampf“, erreichte eine Auflage von bis zu 23.000 Stück. Bei allem Blödsinn, den auch der KB als eine Kampforganisation des Marxismus-Leninismus zwangs­läufig verzapft hat, erscheint er im Vergleich zu den anderen K-Gruppen geradezu als ein Hort der Vernunft. Im Ge­gensatz zu den meisten maoistischen Gruppen lehnte er die Drei-Welten-Theorie ab, mit der die chinesische Führung den „sowjetischen Sozialimperialismus“ zum Hauptfeind erklärte, und die lediglich der Legitimation der Pekinger Außenpolitik diente. Auf Grund seines guten Rie­chers für aktuelle politische Themen (darauf spielt der Ti­tel des Buches an) konnte er in den Neuen Sozialen Bewe­gungen einigen Einfluß gewinnen.

Während jene K-Gruppen, deren Protagonisten heute zum Teil das Personal im grünen Außenministerium stellen, zur „Vaterlandsverteidigung“ aufriefen und die Wiedervereini­gung forderten, thematisierte der KB schon früh die be­sonders aggressive Rolle der BRD, ihre Versuche, mittels der europäischen Einigung eine Vormachtstellung in Kon­kurrenz zu den USA zu erlangen und die Spezifik der postfaschistischen deutschen Gesellschaft. An der „Faschisie­rungs-These“ des KB gibt es zwar jede Menge zu kritisie­ren, bemerkenswert ist aber, daß nicht nur von einer Faschisierung des Staates, sondern auch der Gesellschaft aus­gegangen wurde. Angesichts dieser, vom damaligen linken Mainstream durchaus abweichenden Einschätzungen ist es wohl kein Zufall, daß aus der Fraktionierung und Auflö­sung des KB, die maßgeblich durch die unterschiedliche Einschätzung der Wiedervereinigung bedingt waren, An­fang der 90er Jahre jene Strömung mithervorgegangen ist, die seither unter dem Etikett „Antideutsche“ für einige Furore gesorgt hat, während die ehemalige „KB-Mehrheit“ größ­tenteils bei der PDS Unterschlupf gefunden hat und als lin­ker Flügel des Vaterlandes agiert.

Die im Rückblick als zentral erscheinenden inhaltlichen Differenzen im KB in bezug auf Israel und den Antisemitis­mus arbeitet Michael Steffen nur unzureichend heraus. Den­noch hat er mit seiner detaillierten und um Distanz zumin­dest bemühten Studie die erste umfassende Gesamtdarstel­lung einer jener Gruppen vorgelegt, die in der BRD den an­tiautoritären Aufbruch von 1968 in das Grauen leninistischer Kaderdisziplin überführt haben.

Thomas Haury: Antisemitismus von links

Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR. Hamburger Edition, Hamburg 2002, 530 Seiten, EUR 35,—

Entgegen einem Verständnis von Antisemitismus als bloßem Vorurteil gegenüber Juden und Jüdinnen legt Haury seiner Studie einen Begriff des Antisemitismus zu Grunde, der ihn als ein Weltbild faßt, das wesentlich durch die Personifikation gesellschaftlicher Prozesse, die Kon­struktion identitärer Kollektive und einem letztlich auf Ver­nichtung zielenden Manichäismus strukturiert ist. Bevor er den Antisemitismus und Antizionismus in der jungen DDR analysiert und den Nationalismus des Partei- und Staatsso­zialismus im Kalten Krieg als einen der Hauptgründe für an­tisemitische Ausfälle von links kenntlich macht, stellt er die historischen und theoretischen Bezugspunkte jener Marxisten-Leninisten dar, die nach 1945 den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus mit eisiger Kälte begegneten, jüdische Gemeinden von der Stasi schikanieren ließen, gegen „zioni­stische Monopolisten“, „jüdische Kapitalisten“ und den „Kosmopolitismus“ wetterten und Schauprozesse gegen jü­dische Genossen anstrengten.

Haury weist auf die Marxsche Übernahme antisemiti­scher Stereotypen in „Zur Judenfrage“ hin, widerspricht aber auf Grund einer akribischen Analyse des Entstehungs- ­und Argumentationszusammenhangs dieser Frühschrift völ­lig zu Recht jenen Autoren, die in Marx einen unbelehrbaren Antisemiten sehen. Lenins leidenschaftliches Engagement gegen den Antisemitismus wird ebenso beleuchtet wie die strukturellen Affinitäten der Leninschen Theorie zur anti­semitischen Ideologie. Diese Nähe resultiert aber gerade nicht aus der „radikale(n) Verwerfung alles Bestehenden und (dem) militante(n) Willen, es völlig umzugestalten“, wie Haury meint, sondern gerade aus einem Mangel an Ra­dikalität in der Kritik.
Die ansonsten von Haury sehr plausibel dargelegten struk­turellen Affinitäten des Leninismus zum Antisemitismus wa­ren es, die in der DDR und in anderen Ländern des Realso­zialismus einem eindeutig antisemitisch konnotieren Anti­zionismus, der mit der Ablehnung des zionistischen Projektes, wie sie noch von Lenin und anderen formuliert wurde, nichts mehr gemein hatte, den Weg ebneten.