Heribert Schiedel

Hussein statt Sichrovsky

Die FPÖ wurde, was sie war

Fast untergegangen im FPÖ-Richtungsstreit ist der Rückzug von Peter Sichrovsky. Dies wohl auch deswegen, weil nach der Abrechnung des ehemaligen Generalsekretärs mit seiner Partei diese nun noch schwerer zu verharmlosen ist. Wenn Sichrovskys Erkenntnis, wonach es sich bei Haiders Agitation um Antisemitismus handle, auch ziemlich spät eingesetzt und bezeichnenderweise für ihn keine Folgen (Parteiaustritt) hat, so ist sie dennoch in ihrer politischen Relevanz nicht zu unterschätzen. Dass diese Erkenntnis dennoch auch innenpolitisch folgenlos bleiben wird, bestätigt einmal mehr Michael Scharangs Diktum, wonach dieses Land kein Skandal erschüttern kann, weil dieses Land ein Skandal ist.

Jüdisches Alibi?

Welche Rolle ist Sichrovsky als Jude in der FPÖ, dieser (nicht bruchlosen) parteiförmigen Fortführung der völkisch-antisemitischen Traditionslinie nach 1945, zugekommen?

Vor allem war es an ihm, der Kritik am antisemitischen Charakter des Haider-Projektes den Wind aus den Segeln zu nehmen. Schon Sichrovskys Position in der FPÖ sollte belegen, dass der Antisemitismus-Vorwurf an die Adresse der FPÖ keine Berechtigung habe. Im Bedarfsfall kam ihm die Aufgabe zu, seinen Parteifreunden einen Persilschein auszustellen. So geschehen etwa im Fall des Linzer FPÖ-Obmannes Raimund Wimmer, der 1989 im ORF-Interview sagte: „Hier 50.000 Juden anzusiedeln, wie (ich) das gehört habe vom Zilk, das ist unmöglich. Was täten wir damit, der kennt die Juden nicht. Ich war im Krieg überall. Ich hab sie überall kennen gelernt (...) na ja, die würden sich wundern, wenn die Bejkelesjuden würden herumrennen in Wien. Machen wir doch lieber unser eigenes Volk.“

Anfang 2000 vom Nachrichtenmagazin Format nach seiner Einschätzung dieser Wortspende gefragt, meinte Sichrovsky lapidar: „Man kann ja noch eine Meinung gegenüber extrem religiösen Juden haben, ohne daß man sofort als Antisemit abqualifiziert wird.“

Gänzlich aufgegangen ist Sichrovsky in seiner Funktion während der freiheitlichen Kampagne gegen die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) und ihren Präsidenten Ariel Muzicant, welcher im Oktober 1999 den FPÖ-Wahlkampf gegen „Überfremdung“ und Haider persönlich für die sich häufenden antisemitischen Drohungen und Pöbeleien verantwortlich machte. Die Anfang 2000 einsetzende und im Wiener Wahlkampf 2001 noch verstärkte antisemitische Agitation, welche in Haiders „Wortspiel“ mit Muzicants Vornamen und der Entlarvung des SPÖ-Beraters Greenberg als Vertreter der „Ostküste“ kulminierte, ist aber nicht als Reaktion auf die Kritik des IKG-Präsidenten zu begreifen. [1] Vielmehr ist dieser nun offen vorgetragene Antisemitismus in Zusammenhang mit der fortgesetzten Inszenierung Haiders als Oppositionsheros zu bringen: Nun selbst an der politischen Macht partizipierend, mussten Haider und Kameraden Ausschau halten nach einer „Macht“, an welcher sich die rebellischen Impulse weiter austoben können. Und wer eignet sich (neben den „Bonzen“ in Brüssel) dafür besser als Juden und Jüdinnen, welchen ausgehend vom Vorwurf des Gottesmordes seit Jahrhunderten eine unheimliche Machtfülle angedichtet wird?

Dementsprechend begann Haider in bewährter Manier gegen die „Ostküste“ und ihre Ableger in Österreich, welche von ihm als Drahtzieher der internationalen Ablehnung der FPÖVP-Koalition entlarvt wurden, zu polemisieren. Muzicant wurde von Haider nicht nur als „Immobilienspekulant“ in die Nähe unsauberer Geschäfte gebracht, sondern auch als „personifizierte Unversöhnlichkeit“, welche „Österreich in Washington in den Rücken gefallen“ sei, mit dem Verdikt des Landesverrates belegt: „So jemand ist kein patriotischer Österreicher, sondern so jemand hat seine Verpflichtung gegenüber dem eigenen Land gröblich missachtet.“ Auf den Ausschluss des verräterischen Juden zielte Haiders mit seiner Aussage, wonach Muzicant „im Spektrum der demokratischen Kräfte relativ wenig Platz hat“ oder „nicht für die Demokratie (taugt)“. Der IKG-Präsident sei „kein guter Österreicher“, weil er der FPÖVP-Regierung den „Krieg“ erklärt und damit eine „österreichfeindliche Gesinnung“ an den Tag gelegt habe.

Sichrovsky wollte dieser grandiosen Verdichtung antisemitischer Stereotype zum Trotz an Haiders Attacken nichts Problematisches sehen. Vielmehr stimmte auch er selbst in die Hasstiraden ein. Gegenüber der slowenischen Tageszeitung Delo behauptete er Anfang März 2000, dass „die Mitglieder der jetzigen jüdischen Gemeinschaft in Österreich keine österreichischen Juden sind.“ Laut Sichrovsky seien die „heutigen Führer“ der IKG nach Österreich gekommen, um hier Geld zu verdienen. Sie würden „sich hier nicht zu Hause fühlen“ und seien „mit diesem Staat nicht gefühlsmäßig verbunden“. Muzicant beschrieb er als „einen aggressiven, zornigen Menschen, der ungeheuer geizig ist und ungeheuer reich wird.“ „Berufsjuden“ wie Muzicant oder der mittlerweile verstorbene Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignaz Bubis, stünden „an der Spitze (...) jener jüdischen Organisationen, welche wegen der Vergangenheit so wichtig und stark wurden. Sie haben das weltweite Gefühl der Schuld ausgenutzt und wurden äußerst einflussreich.“ Heute bestreitet Sichrovsky, diese Aussagen gemacht zu haben. Auf jeden Fall legte Sichrovsky kurz darauf im FPÖ-Parteiorgan Neue Freie Zeitung Muzicant folgende Worte an die EU-Berichterstatter in den Mund: „Liebe Weisen, in Österreich herrscht Rassismus, weil ich immer noch erst der zweitreichste Immobilienhändler bin.“

„Ich bin gescheitert“

Im Gefolge von Riess-Passer, Grasser und Westenthaler hat Sichrovsky ebenfalls seinen Rückzug verkündet. Wenn auch die „rechtsradikale Revolution“ (Sichrovsky) von Knittelfeld den unmittelbaren Ausschlag für den Bruch gegeben hat, so kam dieser nicht überraschend. Der vom burschenschaftlichen Kern der FPÖ stets mit Argwohn bedachte Sichrovsky ging im November 2001 erstmals auf offenen Konfrontationskurs mit dem schmissigen Haider-Lager: Er distanzierte sich von einem Treffen europäischer Rechtsextremisten auf Burg Kranichberg (Gloggnitz/NÖ) und erklärte die Teilnahme von FPÖ-Kadern zu deren privater Angelegenheit. Angesichts der damals öffentlich gewordenen Anstrengungen des Haider-Beraters Andreas Mölzer, eine „Euro-Rechte“ unter freiheitlicher Führung zu bilden, betonte Sichrovsky (auch in seiner Eigenschaft als Europaparlamentarier), dass die FPÖ „weder die Absicht noch das Ziel (hat), gemeinsam mit so genannten ‚rechten‘ oder ‚rechtsextremen‘ Parteien in Europa zusammenzuarbeiten oder gemeinsame Listen für nationale oder europaweite Wahlen zu erstellen.“ Als sich dennoch Ende Juli 2002 in Klagenfurt die Spitze des Vlaams Blok mit Haider traf und dieser laut über ein Bündnis mit den flämischen Nationalisten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament nachdachte, war der um internationale Salonfähigkeit bedachte Generalsekretär endgültig desavouiert.

Während am 8. Mai 2002 der burschenschaftliche Kern der FPÖ, allen voran Volksanwalt Ewald Stadler, öffentlich diesen Tag als einen der „totalen Niederlage“ beging, betonte Sichrovsky gemeinsam mit seiner Obfrau den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes. Riess-Passer sprach gar von der „Dankbarkeit gegenüber all jenen, die dazu beigetragen haben, dass wir heute in Frieden und Sicherheit leben“, wobei sie nicht (wie Haider das wiederholt am Ulrichsberg tat) an die Vernichtungskrieger der Wehrmacht und Waffen-SS dachte. Knapp ein Monat später zählte Sichrovsky auch zu den parteiinternen KritikerInnen von Stadlers berüchtigter „Feuerrede“, die in einer Gleichsetzung der alliierten Kontrolle zwischen 1945 und 1955 mit dem Nationalsozialismus gipfelte.

Das Fass zum Überlaufen brachten schließlich die weltanschaulich motivierten Besuche Haiders bei Saddam Hussein, der Hitlers Mein Kampf schon mal als das „das wichtigste in unserem Jahrhundert geschriebene Buch“ bezeichnet hat. Gegenüber profil betonte Sichrovsky, dass es Haiders in diesem Zusammenhang betriebene Denunziation Israels als Diktatur war, die ihn „verletzt“ habe. Dass der „Araberfreund“ (Haider über Haider) Finanzminister Grasser nach dessen Kritik in News nachsagte, er brauche für „einen Job in den USA (...) das Wohlwollen der Ostküste“, ist für Sichrovsky „krasser Antisemitismus“. „In jeder anderen Demokratie“, so der Ex-Generalssekretär, „wäre er (Haider, Anm.) als Politiker nicht mehr tragbar.“ Nach dem späten Zeitpunkt dieser Einsicht befragt, meint Sichrovsky, dass ihm „das doppelte Maß gestört“ habe: „Wenn Mock von der Ostküste gesprochen hat, gab es keine Aufregung, bei Haider schon.“ Bei aller Unvollständigkeit der Wahrnehmung, weist er damit doch auf das Dilemma eines Antifaschismus, der zur Legitimationsideologie von SPÖ und ÖVP verkommen ist, hin. Es war laut Eigenbekundungen diese Verlogenheit des parteiförmigen Armes der Sozialpartnerschaft im Umgang mit der NS-Vergangenheit und aktuellem Antisemitismus, die Sichrovsky zur FPÖ getrieben hat. Anstatt das Problem des Nachlebens des Nationalsozialismus (oder seiner einzelnen Komponenten) in der Zweiten Republik offen zu benennen, hat sich Sichrovky also vielmehr selbst zu einem Teil desselben gemacht.

Daneben will er die Nähe Haiders gesucht haben, um diesen „zu beeinflussen“ und die FPÖ gegenüber der politischen Mitte zu öffnen. [2] Im Interview mit der Zeitschrift NU drückt Sichrovsky heute sein Erstaunen darüber aus, dass ihn „damals der Rest – die Basis der Partei – (...) akzeptiert“ habe. Dieses Staunen würde sich verlieren, wenn der Antisemitismus nicht auf seine nationalsozialistische Artikulationsform reduziert wird: Denn welche/r AntisemitIn kennt heute nicht auch einen Juden oder eine Jüdin, die vom Verdikt ausgenommen sind? Hinter dieser Ausnahme sind nicht nur taktische Motive (die versuchte Immunisierung gegenüber dem Antisemitismus-Vorwurf) zu vermuten, sondern auch unbewusste. Insbesondere Haider versuchte über seine Beziehung zu Sichrovsky eine Lösung aus der schuldhaften Verstrickung mit dem Nationalsozialismus. Als Autoritärer unfähig, sich tatsächlich von seinen (vormalig nationalsozialistischen) Eltern zu lösen, floh er statt dessen vorübergehend in die Identifizierung mit Sichrovsky als Repräsentanten der Opfer. Diese Heilung musste notwendig prekär bleiben, um schließlich wieder ganz umzuschlagen. Der schmale Grat zwischen Liebe und Hass hat seine Entsprechung im Verhältnis von Philo- und Antisemitismus.

Sein diesbezügliches Scheitern eingestehend, beschreibt Sichrovsky im profil Haider als einen „Vertreter“ jener „Generation, die es nicht geschafft hat, sich von den Überzeugungen seiner Eltern zu lösen.“ Im NU wird er noch deutlicher: „Derselbe Mann, der gesagt hat, wie wichtig die Wiedergutmachung ist, (...) der hat plötzlich in jeder zweiten Rede gemeint, was man den Juden jetzt alles in den Rachen stopfe, sollten doch besser die Sudetendeutsche bekommen. Mir kam das alles vor wie eine verbitterte Abrechnung. Denn er hat ja seiner Meinung nach mit seinen Entschuldigungen für die früheren Aussagen über die Nazizeit einen Kniefall vor der kritischen Welt gemacht – und niemand, vor allem nicht die jüdischen Organisationen, haben ihm den honoriert. Daraus resultiert auch sein Ärger über Gianfranco Fini, der diesen Weg erfolgreich gegangen ist, und jetzt sogar nach Israel eingeladen wurde. Haider wirft Fini vor, sich vor den Juden ‚auf den Bauch gelegt‘ zu haben, wozu er selbst nie bereit wäre.“

Epilog

Über eine ÖVP, die sogar mit der FPÖ nach Knittelfeld eine Koalition nicht ausschließen wollte, können nur jene staunen, welche die antisemitische Tradition der Christlich-Sozialen vergessen haben. Aber auch die jüngere Vergangenheit der Konservativen steht nicht im Widerspruch zum Werben um die FPÖ: War es doch die ÖVP, die 1970 ihren Kandidaten Josef Klaus (in der Ersten Republik übrigens ein Agitator in der stramm antisemitischen Deutschen Studentenschaft!) gegenüber Bruno Kreisky als „echten Österreicher“ beworben hatte. Auch war es bekanntlich die ÖVP, die 1986 ihren Bundespräsidentschaftskandidaten Waldheim in einer antisemitischen Kampagne gegen die „Ostküste“ durchsetzte. Und eine Woche vor den Wahlen sorgte der anlässlich seines 90sten Geburtstages von der ÖVP-Spitze hofierte ehemalige CSU-Europaparlamentarier Otto Habsburg mit einschlägigen Äußerungen für Aufregung: Im Interview mit der FPÖ-nahen Wochenzeitung Zur Zeit behauptete der konservative Wahlhelfer, dass im Pentagon „die Schlüsselpositionen mit Juden besetzt sind“ und dieses „heute eine jüdische Institution“ sei.

Wie stets in vergleichbaren Fällen muss Kanzler Schüssels Schweigen auch hier als Zustimmung verstanden werden.

[1Zu dieser Kampagne ist übrigens gerade ein Buch erschienen: Pelinka, A.; Wodak, R. (Hg.): Dreck am Stecken. Politik der Ausgrenzung. Wien 2002 (Czernin).
Muzicant klagte Haider nach dessen Ausfällen wegen übler Nachrede. Darüber hinaus wurde aufgrund des antisemitischen Gehalts von Haiders Angriffen gegen ihn Anzeige wegen des Verdachtes der Verhetzung eingebracht. Diese Anzeige wurde jedoch von der Justiz zurückgelegt. Muzicants Klagen wurden hingegen in mehreren Prozessen zugelassen. Ende Januar 2002 haben sich Muzicant und Haider auf eine „außergerichtliche Generalbereinigung“ verständigt, mit welcher alle Verfahren beendet wurden. Haider hat dabei nicht nur sämtliche inkriminierten Äußerungen mit dem Ausdruck des Bedauerns und der Entschuldigung zurückgezogen und sich verpflichtet, in Hinkunft derartige und sinnähnliche Aussagen zu unterlassen, sondern auch erklärt, dass er die Gefährlichkeit bestimmter Andeutungen und Wortspiele erkannt hat.

[2Neben den Motiven, welche Sichrovsky für sein 1996 begonnenes Engagement bei der FPÖ selbst geltend macht (v.a. der Wunsch, aus der FPÖ eine „normale“ rechtsliberale Partei mit entsprechend internationaler Anerkennung zu machen), sind noch andere diskutiert worden. Die angebotenen Erklärungen für Sichrovskys Schritt reichen von der Identifikation mit dem Aggressor über den symbolischen Mord am (antifaschistischen) Vater, die Eitelkeit und den Geltungsdrang bis hin zu ökonomischen Gründen. Insbesondere letztere Behauptung korrespondiert jedoch mit antisemitischer Stereotypenbildung. Oder hat bei nicht-jüdischen QuereinsteigerInnen in die Politik schon mal jemand vom Geld als Motiv gesprochen?