Alexander Emanuely

Dreigroschen-Opfer

Ein Bericht über einen alten, aktuellen Vorfall

Vergangen und vergessen ?

Am 22. September 1994 fand eine im Ernst Kirchweger-Haus in Wien Favoriten geplante Aufführung der Dreigroschen-Oper, wegen Problemen mit den Urheberrechten nicht statt. Wolfgang Purtscheller, Journalist, Verfasser und Herausgeber wichtiger Schlüsselwerke über die österreichische Rechte, der als Zuschauer gekommen war, wurde jedoch bald selbst Akteur eines ganz anderen Dramas. Zeugenberichten zu Folge [1] waren an dem Abend zwei Beamte der Fremdenpolizei anwesend, die im Foyer zwei Afrikaner aus scheinbar unerfindlichen Gründen verhaften wollten. Da die Polizisten nicht als solche zu erkennen waren, verlangte Wolfgang Purtscheller deren Dienstausweise zu sehen. Etwas unerwartet waren plötzlich 17 zusätzliche Beamte da, die anscheinend nicht auf den hergezeigten Presseausweis Purtschellers achteten und ihn, sowie die zwei Afrikaner und noch einen Anwesenden festnahmen.

Nun war dies jedoch keine gewöhnliche Verhaftung. Purtscheller wurde, nachdem er bewußtlos geschlagen worden war, hinaus geschleppt und gefesselt. Auf der Straße wurde ihm sein rechtes Bein hochgezerrt, so daß etliche Bänder rissen oder gedehnt wurden. Eine ebenfalls anwesende Vorarlberger Landtagsabgeordnete der Grünen wurde etwas rabiat gebeten, sich zu entfernen, sonst würde sie ebenfalls unter Hinweis auf das Polizeibefugnisgesetz — Wegweiserecht verhaftet (wo bleibt da die Immunität?) werden. Die Begründung für die Verhaftung lautete auf Verdacht des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, sowie schwerer Körperverletzung (die so schwer nicht waren [2]).

Im Kommissariat der Van der Nüll-Gasse geschahen weitere, unglaubliche Vorfälle. Obwohl Purtscheller unter schweren Schmerzen litt, wurde ihm ärztliche Hilfe mehrere Stunden vorenthalten. Er mußte sich zur Gänze ausziehen, sogar die Unterhose, dazu fiel die Bemerkung: „Wir wollen wissen, ob’s D’a Jud bist“. [3] Dem von Freunden herbeigerufenen Anwalt wurde ausgerichtet, daß ihn sein Mandant nicht sehen wolle, und er sich „schleichen“ könne. Nach einem Verhör durch die StaPo und nachdem Purtscheller der Journaldienstbeamtin seine Beschwerden vorgebracht hatte, wurde er mit Blutergüssen, Prellungen am ganzen Körper, einer Gehirnerschütterung und Bänderrissen am rechten Knie ins Lorenz Böhler Spital eingeliefert. Er bekam für vier Wochen einen Liegegips und mußte sich einige Monate einer Physiotherapie und Rekonvaleszenz unterziehen. Was den Afrikaner Ly betrifft, so hatte Purtscheller zuvor beobachten können, wie er blutüberströmt in eine Zelle geschleppt worden war. [4]

Der schwer verletzte Ly blieb anscheinend zwei Tage ohne ärztliche Behandlung, obwohl er sie dringend benötigt hätte. Beim Prozeß wurde er frei gesprochen, weil die vier aussagenden Beamten sich dermaßen widersprachen, daß dem Richter nichts anderes übrig blieb. Gleich nach seiner Entlassung kam er jedoch in Schubhaft, wo er in einen Hungerstreik trat und kurz vor Weihnachten 1994 freikam (er darf als Zeuge im Purtschellerprozeß in Wien bleiben). Bei der Haftentlassung war er extrem untergewichtig und mußte nach einem Zusammenbruch in einer U-Bahnstation ins Krankenhaus der Barmherzigen Brüder gebracht werden, wo er fünf Tage in der Intensivstation lag. [5]

Über Redaktionsgeheimnis, Diffamierung, Brutalität ...

Daß es in Österreich kein Redaktionsgeheimnis gibt, ist bei dieser Aktion erst so richtig deutlich geworden. Demnach ist nach § 143 StPO jedermann dazu verpflichtet, Urkunden herauszugeben, bzw. dürfen alle für eine Untersuchung relevanten Gegenstände beschlagnahmt werden. Einzig ein Journalist als Zeuge muß nach dem § 31 des Mediengesetzes nicht sein Material herzeigen. Purtscheller war jedoch Verdächtigter, und Notizblock, sowie „MessagePad“ wurden beschlagnahmt. Er verlangte, daß das Material versiegelt und erst von der Staatsanwaltschaft gesichtet werden sollte, dies geschah natürlich nicht. Begründung war „Verdacht auf Mittäterschaft des P., an der Vorbereitung eines Verbrechens durch Sprengmittel gem. § 175 StGB“. [6] Seitdem behauptet die FPÖ, Purtscheller sei in die Bombenanschläge der letzten Zeit verwickelt. [7] Daß es aber Notizen innerhalb einer Recherche über die Briefbombenserie, bzw. über die rechtsradikale Szene waren, die diesen Verdacht erweckt hatten, verschweigt gerne die FPÖ bei ihrer derzeitigen Hetzkampagne gegen Purtscheller. Noch absurder war hingegen der Verdacht auf Drogenhandel, der sich auf die Notiz über ein Taschenbuch: „Heroin rororo Aktuell“ bezogen hatte.

Aktuell wird der Fall Purtscheller, wenn das Gericht irgendwann entscheiden wird, ob nun tüchtige Polizisten „einen lästigen Linken zur Räson gebracht“ (Haider Zitat) oder ob einige Beamte der Exekutive grob gegen Menschenrechte verstoßen haben. Auch wenn „die Darstellung in den Medien, welche angeblich von Herrn Purtscheller gegeben wurden, von denen der Polizeibeamten fast diametralisch (abweichen)“ (damaliger Polizeipräsident Bögl), sollte nicht vergessen werden, daß alle anderen, die am Abend des 22.9.1994 bei der gleichen Aktion festgenommen wurden, schon längst vom Verdacht auf Widerstand gegen die Staatsgewalt, etc. frei gesprochen worden sind.

Deutlich macht das Schweigen fast aller großen österreichischen Medien (außer News [8]) zu diesem Fall, CNN oder die New York Times berichteten sehr wohl darüber, daß man ausländische Medien und in letzter Zeit ARD herbeiziehen muß, um rechtzeitig zu erfahren, was in Österreich des öfteren geschieht.

Sicherlich sind die oft schlechten und schwierigen Arbeitsbedingungen im polizeilichen Dienst und somit die Frustration vieler Beamter ausschlaggebend für gelegentliche brutale Exzesse (letzterer im Falter 46/95, S. 14 nachzulesen), die schon seit langem die Aufmerksamkeit von amnesty international, der Volksanwaltschaft, dem Europarat und der UNO-Menschenrechtsorganisation auf sich ziehen. Zum Glück wurden in letzter Zeit einige Reformen in Ausbildung und Weiterbildung der Polizisten angestrengt, auch gibt es offiziell seit 1990 ein „Informationsblatt für festgenommene Erwachsene“, das den Inhaftierten über seine Rechte aufmerksam machen soll und hoffentlich wird es auch bald Diskussionen über eine finanzielle Besserstellung der Polizisten geben, die einen extrem gefährlichen und wichtigen und heiklen Beruf ausüben.

Es muß nicht alles sichtlich aktuell sein, um darüber berichten zu können, doch sind diese Inkonsequenz und diese Ignoranz der ausschlaggebenden Medien, die laufende Diffamierung eines Journalisten durch eine Oppositionspartei, weitere Meldungen über Polizeiübergriffe und der weiterhin oft mutwillige, unmenschliche Umgang der Behörden mit Ausländern Tatsachen, die den Fall Purtscheller und den Fall Ly schlußendlich doch aktuell machen, aktuell und beängstigend.

[1Hilfe! Polizei! Bandabschrift der von der Mediensektion der SPÖ-Wien gemeinsam mit dem Republikanischen Club und der Journalistengewerkschaft durchgeführten Diskussionsveranstaltung vom 12.1.1995 im RC mit W. Purtscheller, B. Bailer-Galanda, G. Vorrath. (Irmi Novak, Hg.). Zur Gänze nachzulesen im CONTEXTXXI - n°1.

[2Beantwortung 22/AB der am 7.11.1994 2/J/94 gestellten parlamentarischen Anfrage der Grünen

[3s. Fußnote 1

[4s. Fußnote 1

[5s. Fußnote 1

[6s. Fußnote 2

[7Parlamentarische Anfrage der FPÖ (1426/J) vom 22. Juni 1995

[8News vom 29.9.1994